Einladung zum Gedankenausflug und gemeinsamen Schreiben über unsere Kindheit, beziehungsweise das, was wir dafür halten
Beitrag 1 von Ildikó von Kürthy
Schreiben wir gemeinsam! Über unsere Kindheit.
Kindheit ist ein Märchen. Eine rührende oder auch haarsträubende Geschichte, die oft wenig mit Wahrheit und Realität zu tun hat. Kindheit ist das, was wir mit Kinderaugen wahrnehmen – und da wird so mancher, eigentlich harmlose Schatten zum bedrohlichen Monster, die Erkrankung der Mutter zur existentiellen Bedrohung oder die Scheidung der Eltern zum Trauma des Kindes, das sich daran schuldig fühlt. Wie gut, dass man als Erwachsener die Möglichkeit hat, die Manipulationen zu erkennen, die unser Unbewusstes an unseren Erinnerungen vorgenommen hat, wie ein Halbstarker an seiner Enduro. Je älter wir werden, je mehr endgültig erreicht oder auch endgültig nicht erreicht ist, desto mehr sollten wir uns fragen, wie es wirklich war. Woher wir kommen, warum wir so sind, wie wir sind, was für Altlasten wir im Lebensgepäck haben und ob es nicht an der Zeit ist, wenigstens einen Teil von ihnen abzuwerfen?
Beitrag 2
Autor: Sabine R.
Liebe Ildikó,
Ich stelle mir eher Fragen wie "Wo ist die Zeit geblieben" oder "Früher war alles anders". Doch wann ist früher? Ist früher nicht auch jetzt? Und kann es morgen zu spät für früher sein?
Ja, wo ist die Zeit geblieben? Diese Frage stell ich mir ständig. Selbst meine Kinder sind inzwischen junge Erwachsene. Ich sitze inzwischen 52jährig bei mir Zuhause, alleine, mit dem Wissen, dass die besten Jahre im Grunde vorbei sind. Oder doch nicht?
War meine Kindheit die beste Zeit meines Lebens? Wohl kaum. Eher die Jahre mit den existentiellsten Erfahrungen. Erfahrungen die prägend waren. Erfahrungen die keiner machen will aber doch machen muss. Auch um seinen Weg zu finden. Es gibt sicherlich schöne Erinnerungen. Ein paar Wenige. Doch die meisten waren eher belehrend, unterdrückend, belastend, frei von Liebe, Zuneigung, Anerkennung. Frei von dem was ein Kind bräuchte um in dieser inzwischen so grauen Welt zu bestehen ohne größeren Schaden zu nehmen.
Also was halte ich persönlich für meiner Kindheit? Oder vielmehr was würde ich gerne dafür halten?
Unbeschwertheit, keine Gedanken machen müssen über das was noch kommen mag, was gewesen ist oder was gerade geschieht. Nur Liebe, Zuneigung, Anerkennung.
Doch die Realität war leider eine andere.
Und trotzdem habe ich es geschafft, nach vielen Kämpfen gegen andere und auch gegen mich selbst, die zu sein die ich schon viel früher hätte sein sollen.
Ganz liebe Grüße,
Sabine
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Sabine,
danke für diesen wunderbaren Text! Ich frage mich das auch so oft: Ist die beste Zeit meines Lebens vorbei? Ich finde, Du ahst auf diese Frage für Dich eine sehr positive und inspirierende Antwort gefunden. Herzlich! Deine Ildikó
Beitrag 3
Autor: Doris Günther
Meine Kindheit hat klebrige Finger, riecht nach Zuckerwatte, nassem Gras und Pferdeställen. Sie fühlt sich an wie 100 Purzelbäume und einem Lachanfall mit wunderbaren Bauchschmerzen. Behütet ist sie, meine Kindheit, so sehr, wie das geheimste Geheimnis der weiten Welt. Beschützt, geborgen und geliebt ist sie. Die Kindheit weiß, dass sie richtig ist, dass sie einzigartig ist und dass es keinen kostbareren Schatz gibt als sie. Sie ist liebevoll umarmt, eingebettet in ein Umfeld, in das sie sich hinein entspannen kann. Sie darf streiten ohne abgelehnt zu werden, sie darf wollen ohne beschämt zu werden. Sie darf Träume haben und sich für sie einsetzen. Sie darf sich in junge Hunde verlieben und sich einen nach Hause holen. Sie probiert sich aus, ist mutig oder auch nicht. Wie auch immer, sie ist, wie sie ist und so ist sie recht.
Die Kindheit fühlt sich in der Welt zu Hause.
Meine Kindheit steckt noch in den Kinderschuhen. Die viel zu großen Schuhe von früher stelle ich ins Kellerregal, auf Augenhöhe. Wertschätzend, dass sie mich bis hierher getragen haben.
Jetzt aber bin ich erwachsen genug, um mir endlich das Gefühl "Kindheit" erschaffen zu können. Möge meine Kindheit bis ans Ende dauern. Mach ich's eben verkehrt rum. Das ist mein neues Richtig.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Doris,
Purzelbäume und junge Hunde! Dein Text beflügelt mich, wie großartig Du schreiben und beschreiben kannst! Danke!!! Deine Ildikó
Beitrag 4
Autor: Doris Blöchl
Als 72er Jahrgang fühle ich mich nicht wie der Wein, der mit dem Alter auch mehr Reife und Geschmack bekommt. Stattdessen trauere ich tatsächlich vielen unbeschwerten Momenten meiner Kindheit nach, obwohl es keine Bilderbuch-Version derselben war. Das Gefühl der Unbeschwertheit und das Wissen um den sicheren Hafen namens Heimat und Elternhaus habe ich für scheinbar ewige Jahre nicht mehr empfunden und scheine meinen Platz in der Erwachsenenwelt samt Verantwortung und den täglichen Pflichten, trotz zweier toller Kinder und einem sehr geduldigen Ehemann immer noch nicht gefunden zu haben. Der Schein nach außen trügt wie wahrscheinlich bei vielen Frauen mittleren oder fortgeschrittenen Alters, die so tun als hätten sie alles im Griff. Ich denke, die Kindheit endet dann, wenn die letzte Illusion geraubt wurde und der letzte Traum unerfüllt geblieben ist. Und vielleicht auch dann, wenn die Routine zum Alltag wird.
Liebe Ildiko von Kürthy, ihre Texte und Bücher sind so toll, ich verneige mich vor ihrem Talent, mit Worten große Emotionen auszulösen.
Viele Grüße
Doris
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Doris,
ich wünsche Dir, dass deine Kindheit nie vorbei geht, dass Du Deine Illusionen behälts und ja, Dich vielleicht stets ein wenig auf der Suche befindest nach Deinem Platz in der Erwachsenenwelt. Diese Zweifel halten uns lebendig und machen uns menschlich. Danke für Deinen wunderbaren Text und herzliche Grüße! Deine Ildikó
Beitrag 5
Autor: Kinga Schilling
Liebe Ildikó,
wie du das schreibst, die Kindheit prägt, hinterlässt ihre Sonnen- und Schattenseiten. Je älter ich werde, umso mehr betrachte ich diese Seiten aus einem anderen Blickwinkel .
Von außen betrachtet aufgewachsen in einer behüteten Familie in einer Kleinstadt am Plattensee, scheint eine kleine Idylle zu sein. Wenigstens bis die Ehe meiner Eltern nicht mit dem Bröckeln anfing. Oder auch schon davor. So viele Erinnerungen! Die Sonntagsspaziergänge mit meinen Großeltern - bei schönem Wetter obligatorisch . „Schönen Sonntag, Herr Lehrer“.. in zwei Minuten Takt, da Opa an dem Gymnasium in der Stadt in jeder Familie jemanden unterrichtete, den Sohn, die Tochter, die Mutter, die Tante, den Onkel... jeder kennt jeden . Mich überfiel immer ein gemischtes Gefühl, ich war stolz, aber ich fand das irgendwie auch lästig . Dieses ständige „ Küss die Hand , Frau ..., Küss die Hand Herr... „ Sowieso dieses ungarische „Küssdiehand“ wurde irgendwann zu doof. Aber in der Kleinstadt lebt man als Enkelin eines Studienrates angepasst und zieht gute Miene dazu. Man sagt nichts, man macht es mit und versucht den unausgesprochenen Erwartungen zu entsprechen . Wenn jemand die Eltern und Großeltern grüßt , dann grüßt man als Kind automatisch zurück. Ich war das wohlerzogene und unproblematische Kind. Etwas anderes wäre auch unvorstellbar gewesen . Und ich fand das - ganz ehrlich - nur manchmal öde . Ich kannte es auch nicht anders.
Ich liebte und respektierte meine Großeltern und stellte nichts infrage . Opa vergötterte ich sogar , das tat - und tut- meine Mutter auch. So war das in Ordnung. Und es war tatsächlich so in Ordnung, das ändert nichts an der Liebe zu meinen Großeltern . Was ich aber heute- erst nach hinein - in Frage stelle, ist diese steife Selbstbeherrschung, die Werte , die wir leben mussten. Schulbeste, aber wenigstens Klassenbeste, gute Sportlerin, aber auf jeden Fall wohlerzogen, immer lieb und einwandfrei zu sein. Mit der Kleidung, mit dem Jungen, der gerade mich nachhause begleiten möchte. Nie aus der Reihe tanzen .“ Was werden die Nachbarn sagen?“
Als ich im ersten Semester mein Studium abbrechen wollte, um eine Pause einzulegen und mit einem anderen Studiengang anzufangen, bat mich Opa zu einem - glaube ich- letzten Sonntagsspaziergang. Es war ein sonniger Novembertag. Opas letzte Worte am Ende der Runde vor dem Gartentor waren:
„Ich muss in dieser Kleinstadt mit gesenktem Haupt auf die Straße gehen, wenn du dein Studium abbrichst. Was werden die Menschen sagen?“ Klare Aussage. So zog ich sechs Semester und ein Staatsexamen Opa zuliebe durch und je kaum etwas mit dem Abschluss angefangen . Opa starb drei Wochen vor den letzten Prüfungen. Er hat das Finale nicht mehr erlebt. Wollte er es nicht mehr? War er der Sache sicher, dass ich das auch ohne ihn hinkriege? Weiß ich nicht. Ich war enttäuscht, es tat weh. Aber danach fing ich doch mit einem neuen Studiengang an. Wurde Studienrätin, in einer Kleinstadt. Ich wollte nie ins Lehramt und schon gar nicht in einer Kleinstadt am See leben. Das wurde aber mein Leben mit 42 Jahren. Jetzt nach 8 Jahren bin ich immer noch Studienrätin, aber endlich nicht in der Kleinstadt. Etwas konnte ich aus der Kindheit loslassen, aber ich habe sicherlich noch vieles in meinem Rucksack.
Ich bin meinem Opa immer noch sehr dankbar , er wollte das Beste, er konnte es nicht anders. Wer weiß , vielleicht war das auch richtig so. Es ist gerade ein sonniger November. Der letzte Sonntag war herrlich . Ich hätte gerne einen Sonntagsspaziergang in der Sonne mit Opa unternommen . Vielleicht hätten wir tolle Gesprächsthemen gefunden oder nur still das schöne Wetter und das Zusammensein genossen. Ich hätte die Frau „Wieheißtdie „ , den Herrn „Sowieso „ ( die letzten Jahre kannte Opa die Namen der ehemaligen Schülern nicht mehr) lächelnd begrüßt , weil wer Opa grüßt , den grüßt man automatisch zurück.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Kinga!
Vielen Dank, dass Du mich mitnimmst in Deine Kindheit am Balaton. Ich habe meine Kindheit auch dort verbrecht - allerdings nur die Sommerferien. Was Du schreibst ist so interessant, zu sehen, wie Prägungen weitergegeben werden, wie wir sie annehmen, weil sie von den Menschen kommen, die wir am meisten lieben. Trotzdem geraten wir dadurch manchmal auf Wege, die nicht unsere eigenen sind. Je älter ich werde, desto häufiger gelingt es mir, mich von alten Prägungen zu emanzipieren. In aller Liebe und Respekt für diejenigen, die mir damit etwas Gutes tun wollten.
Herzlich! Deine Ildikó
Beitrag 6
Autor: Laura G.
Liebe Ildikó,
eine schöne Frage. Denn umso mehr man darüber nachdenkt, desto mehr stellt man fest, dass die Erinnerungen an all das Erlebte sich mit den Jahren verändern. Es ist z.B. der Schmerz über die Trennung der Eltern, der verblasst. Es sind die Orte der Kindheit, die man wieder besucht, die an Glanz gewinnen oder verlieren. Es sind die alten Bekannte mit denen man alte Vertrautheiten neu entdeckt - oder im Zweifel jetzt noch genauer verstehen kann, warum man sie noch nie gemocht hat.
Als Erwachsener hat man die Gabe Geschehenes aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und Dinge dadurch besser zu verstehen. Mit jeder selbst gemachten Erfahrung als Mutter wird man milder mit den eigenen Eltern, wie ich finde. Mir z.B. fehlte lange die Einsicht, dass Eltern ja auch nur Menschen und dazu noch mit eigenen Bedürfnissen sind.
Was wir also von unserer Kindheit halten, hängt viel davon ab, aus welcher Perspektive und in welcher Stimmung wir sie betrachten. Für mich jedoch ist die Weihnachtszeit mit wunderbaren Erinnerungen verbunden, die sich jedes Jahr aufs Neue zeigen. Erinnerungen an viel gemütliche Familienzeit, ans Naschen und Kekse backen. An meinen Bruder, der „wann ist Weihnachten – dann wenn der Adventskalender leer ist“ viel zu wörtlich genommen hat. Und an einen Hund, der den Nikolausteller leer geputzt hat und trotzdem das geliebteste Haustier der Welt war.
Ich wünsche mir, dass auch meine Tochter später genau diese wunderbaren Erinnerungen mit der Weihnachtszeit verbinden wird.
Frohe Weihnachten,
Laura
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Laura!
Danke für Deinen Text! Ich sehe den gefräßigen Bruder und den gefräßigen Hund vor meinen Augen :-) Und ich gebe Dir vollkommen Recht: Erinnerung verändert sich mit uns. Manches, was wir mit Kinderaugen sahen, mag uns Angst oder Respekt eingeflößt haben - und es ist gut, wenn wir die Chance nutzen, es als Erwachsene immer wieder zu überprüfen und neu zu bewerten. Und ja, was wir als Mütter tun können, ist, unseren Kindern schöne Erinnerungen zu schenken.
In diesem Sinne auch Dir: Frohe Weihnachten!!!
Deine Ildikó
Beitrag 7
Autor: Henriette Müller
Wenn ich an meine Kindheit denke,
… spüre ich den kalten Rauch von Zigaretten in meiner Nase, in meinen Bronchien, in meinen Kleidern und in meinen Haaren. Dabei höre ich drei Herren mit ernster Stimme „18, 20, 22“ sagen. Sie halten ihre Karten verdeckt in der Hand. Neben ihnen steht ihr Bierglas. Es geht um viel. Mitten unter ihnen sitzt ein junges Mädchen und zählt das Geld.
… strömt ein warmer Duft von Rinderbraten mit Rotkohl, Knödeln und frischen Gewürzen durch meinen Körper. Gleich gibt es Mittagessen. Anschließend wartet ein frischgebackener Pflaumenkuchen mit Zimt auf alle. Die Stube ist frisch aufgeheizt, das Feuer tanzt in allen Farben.
… sehe ich ein junges Mädchen auf dem Boden sitzen. Sonst ist keiner zu Hause. Die Einsamkeit kriecht durch den Körper. Einziger Ansprechpartner ist das Radio. Es ist Sonntagabend. Gleich ist es soweit, gleich wird Stephanie Tücking die Hitparade präsentieren. Das Geheimnis ist gelüftet. Pink Floyd liegt mit „The wall“ auf Platz 1. Wie Pipi Langstrumpf wird sich das Mädchen nun selbst auffordern, endlich ins Bett zu gehen.
… erinnere ich mich an ein wildes Mädchen, das nach der Schule seinen Ranzen in die Ecke schmeißt, schnell zu Mittag isst und hurtig die Hausaufgaben erledigt. Es hat ein Ziel. Treffpunkt 15.00 Uhr an der Straßenecke. Die ganze Kinderschar aus der Nachbarschaft trifft sich. Endlich kann der Tag beginnen. War es zu wild, gab es eine Woche Hausarrest.
… vernehme ich die Schulglocke. Endlich Ferien. Sechs Wochen, was für eine Ewigkeit. Zu Hause sind die Koffer schon gepackt. Mit Ferienbeginn werde ich sofort an einen anderen Ort katapultiert. Wie ein Päckchen verschickt man mich mal zur Oma, mal zur Tante, mal zum Onkel oder mal in ein Ferienlager. Hauptsache ich bin aufgeräumt.
… höre ich die warme Stimme meiner Oma und rieche ihr schweres Parfüm. Sie zeigt mir Fotos aus vergangenen Zeiten und erzählt unglaubliche Geschichten vom Krieg, von Familiendramen und von Liebe. Oma und Enkeltochter sind einander verbunden und tauchen ein in ihre eigene Welt.
Wenn ich an meine Kindheit denke, habe ich ambivalente Gefühle.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Henriette,
Du beschreibst Deine unterschiedlichen Erinnerungen so bildhaft, dass ich fast denke, es wären auch meine Erinnerungen :-) "Hauptsaceh ich bin aufgeräumt." Ein Klasse-Satz, den sicher viele so empfinden.
Ich danke Dir und grüße herzlich!
Ildikó
Beitrag 8
Autor: Andi S.
Wenn es schon Mittags dämmert und es plötzlich dunkler wird,
brauche ich meine Bitterschokolade mit 85% Kakao
rationiert auf ein 25 Gramm Riegel pro Tag,
zur Verfeinerung gibt es heute aber noch eine kleine Pralinenkugel.
Schwere Wolken schieben sich zusammen,
und Regentropfen prasseln auf das Fensterbrett,
welch schöner Klang, angenehm im Trockenen zu sein.
Schnee wär jetzt zur Weihnachtszeit schon etwas heimeliger,
Ok, jetzt bin ich „ready for take off“ zum schreiben über die Kindheit.
…..was haben wir damals Schneemänner gebaut,
am besten war der noch etwas nasse Schnee,
der hat sich verdammt gut zu riesigen Kugeln rollen lassen,
ein Iglo haben wir daraus gemacht,
entweder aus einem großen Haufen ausgehöhlt,
oder handwerklich aus Schneesteinen gemauert.
Ach, Iglo, was sage ich,
Burgen, regelrechte Festungen haben wir aus dem Boden gestampft,
alles natürlich unter ständigem Schneeball Beschuss des „feindlichen“ Lagers.
Mann, wo kamen all die Kinder her, heutzutage muss man ja froh sein,
wenn man überhaupt mal ein paar Knirpse auf der Straße zu Gesicht bekommt,
die können einem echt leid tun, wie die zugeschüttet werden mit Lernstoff
und der „Förderung durch sinnvolle Freizeitbeschäftigung“ ausgewählt von übereifrigen Eltern.
Alles flankiert von Smartphone-Apps, (Anti-)Social-Media und Playstation,
garniert mit ständig wechselnden Narrativen vorzugsweise apokalyptischer Natur.
Ich bin wirklich froh,
das auch meine 2 Söhne noch im Schnee spielen konnten,
pünktlich zum Winter holten wir die beiden Holzschlitten aus dem Keller.
Die Kufen wurden gewachst, dann ab zum Schlitten fahren,
so lange bis es selbst im Eskimoanzug zu kalt war.
Der Älteste war eine Zeitlang so lern faul,
und hat mit Ach und Krach das Abi geschafft,
aber es ist aus allen was geworden,
trotz oder wegen Ihrer hoffentlich schönen Kindheit.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Lieber Andreas (entschuldige, dass ich Deinen Namen "Andi" beim letzten Beitrag für einen Frauennamen gehalten habe :-)!
Ach ja, die Schneemänner der Kindheit! Ich erinnere mich auch an etliche. Aber wahrscheinlicher ist, dass sie schon damals die Ausnahme waren, den da wo ich herkomme, waren die Winter in der regel schon immer verregnet :-)
Ist es nicht schön, dass es nicht darauf ankommt, wie es wirklich war?
Herzlich! Deine Ildikó
Beitrag 9
Autor: Camilla Münker
Liebe Ildiko,
meine Kindheit scheint seit ein paar Monaten wieder aufzuerstehen in Form von traumatischen Erinnerungen, Gefühls-und Körperzuständen. Seit September bin ich bei einer traumaorientierten Körpertherapeutin und fühle mich zurückversetzt. Es ist, als würde das tramatisierte Kind von früher das Steuer übernehmen in meinem Leben. Ich stehe daneben und fühle mich hilflos. Ich kann trotz Schlafmittel kaum schlafen, ich habe Angstzustände, mein Körper fühlt sich elend und schwer an und scheint alles hervorzuholen, was er lange stillschweigend mit sich getragen hat. Ich fühle mich überschwemmt. Ich versuche, meine Nase über Wasser zu halten, um Luft zu bekommen, aber immer wieder reißen mich Wellen von Angst, Traurigkeit, Verzweiflung nieder. Ich fühle mich, als gäbe es mich nicht mehr wirklich, als sei nur noch Trauma da. „Wenn du nicht mehr wärst, dann gäbe es dich schon lange nicht mehr.“ stellt meine Schwester am Telefon fest. Das hilft mir etwas. Ich hangel mich irgendwie durch die Tage, ich bin da, aber auch wieder gar nicht da. Die Tage erscheinen mir ewig und gleich. Vor den Nächten habe ich Angst. Ich schreibe, um mich irgendwo wiederzufinden. Ich schreibe seit langem Tagebuch, eine Art Schreibtherapie. Es kann rausfließen, was in mir ist. Ich wünsche mir, dass meine Kindheit nicht mehr mein jetziges Leben bestimmt. Ich wünsche mir Frieden mit meinem Körper, den ich immer abgelehnt und weggeschoben habe. Ich wünsche mir Frieden mit dem verletzten Kind in mir, das ich lange nicht hören wollte, das aber jetzt unüberhörbar schreit. Ich träume von diesem Kind. Ich höre etwas schreien und entdecke in einem kleinen Grab unter einer dünnen Decke ein fast erfrorenes und verhungertes Kind. Ich nehme es aus dem Grab, ich bin erschrocken über seinen Zustand, ich halte es an meinen Körper, um es zu wärmen und traue mich kaum hinzusehen, wie ernst sein Zustand ist. Ich suche einen Raum, ich suche etwas zu essen. Das Kind sieht mich an. „Wie konntest du nur so blind werden?“ fragt es mich. Und ich weiß keine Antwort. Ich weiß, das ist die Lösung für meine jetzige, verfahrene Situation – ich muss das Kind aus seinem Grab holen, ich muss die Große sein, aber irgendetwas steht noch dazwischen. Ich weiß nicht was. Ich möchte nichts mehr, als das Kind von damals zu halten. Aber ich habe Angst. Angst vor seinen tiefen Gefühlen. Genau wie ich vor meinem Körper Angst habe, der mit etlichen Symptomen ebenfalls nach mir zu schreien scheint. Auch vor ihm habe ich Angst. Angst, was er noch an Krankheit entwickeln könnte, damit ich wach werde. Damit ich handle. Was hält mich zurück? Ich wünsche mir nichts mehr als Frieden mit dem Kind in mir und mit meinem Körper. Ich halte mich am Schreiben fest. Das Schreiben bringt mich etwas zur Ruhe, sortiert meine Gedanken und Gefühle. Ich schreibe und verspüre den Wunsch, mich mit meinem Tagebuch Menschen mitteilen zu können, um nicht mehr einsam mit dem Trauma zu sein. Um aus der Enge und Ohnmacht auszbrechen, die ein Trauma mit sich bringt. Ich würde mich gerne schreibend heilen und mich mitteilen, gesehen, gehört werden, andere Betroffenen vermitteln, du bist nicht alleine, anderen Menschen vermitteln, so fühlt sich ein Trauma an, jeden Tag, jede Nacht.
Wie fängt man das an, mit seiner Geschichte rauszutreten? Wie erstellt man aus einem Tagebuch ein Buch? Wie findet man die passenden Menschen, einen Verlag? Woher weiß man, ob es nicht eine irre Idee ist oder ein Wunsch, der erfüllbar ist?
Ich freue mich über Deine Gedanken und vielleicht Tipps. Und ich hoffe, ich habe mit dem Thema nicht überfordert.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Camilla,
da bist Du ja gerade auf einem wirklich sehr schweren, unebenen und anstrengenden Weg! Wie mutig Du bist, ihn zu gehen! Ich hoffe, Du bist in guten therapeutischen Händen, denn das scheint mir sher wichtig zu sein, wenn man sich den Traumata vergangener Zeiten aussetzt. Das Schreiben kann dabei nur hilfreich sein, davon bin ich überzeugt. Das Veröffentlichen ist dabei ehrlichgesagt nebensächlich. Der Prozess des Ausdrückens von gedanke in Schrift ist meiner Meinung nach unglaublich wertvoll. Trotzdem ist es natürlich kein irrer Gedanke, ein Tagebuch auch veröffentlichen zu wollen:-) Aber mehr als den Tipp, ein paar Verlage anzuschreiben, die Du für Dein Buch für geeignet hältst, kann ich Dir da leider nicht geben. Versuch das doch mal! Ich wünsche Dir viel Erfolg dabei - und immerhin ist dieser Beitrag auf meiner Seite ja auch öffentlich und vielleicht ein kleiner Schritt in Richtung der Verwirklichung Deines Traumes. Herzlich! Deine Ildikó
Beitrag 10
Autor: Clärchen V.
Liebe Ildikó,
Es ist mal wieder Sonntag, und die Seite/Frage zum Thema „Kindheit“ befindet sich seit Wochen angefangen und immer mal wieder ergänzt in einem Prozess; heute mag ich sie loslassen und losschicken. Auch wenn sich das Geschehen diesbezüglich gedanklich weiterspinnt.
Kindheit, das war für mich
...als ich noch genau „wusste“, was richtig und was falsch ist
...als ich noch dachte, dass alles einfacher wird, wenn man erwachsen ist
...als ich noch leichter die Zeit vergessen konnte
...als ich Fahrrad fahren gelernt habe
...als ich bei „Engelchen, Engelchen flieg!“ noch an großen Leichtigkeitsspaß zwischen Elternhänden gedacht habe, und nicht (als Kinderkrankenschwester) an "Sternenkinder"
...als ich mit meiner besten Freundin Sabine, die nur zwei Häuser weiterwohnte, Briefe geschrieben habe, als wir krank waren, und unsere jüngeren Schwestern diese überbringen „durften“
...als es mir noch leichter fiel, auf kleine Dinge großartig stolz zu sein
...als ich noch alles geglaubt habe, was „die Großen“ mir erzählt haben
...als ich viel mehr gesungen habe
...als ich mich noch getraut habe, Fragen zu stellen, die eigentlich "tabu" waren/sind
...als ich alle MonChiChis behäkelt habe
...als ich noch werden wollte, wie meine Mutter
...als ich auf Urlaubsfahrten im Auto beim Klang der Stimmen meiner Eltern geborgen eingeschlafen bin
...
Also, eine Mischung aus Wehmut und Dankbarkeit, wie vermutlich bei vielen, und je nach Tagesverfassung überwiegt mal das Eine, mal das Andere. Meine Wahrheit sind sie alle.
Danke für diese Frage und den damit angestoßenen inneren Prozess!
Herzliche Grüße,
Clärchen ;-)
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Danke für Deine Antworten, Clärchen! Jede einzelne von Ihnen weckt auch in mir Erinnerungen, Dankbarkeit, Wehmut, Zustimmung - und ein mildes, trauriges, glückliches Lächeln. Herzliche Grüße! Deine Ildikó
Beitrag 11
Autor: Jutta Kretschmer
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Liebe Ildikó!
Meine Kindheit war: Unbeschwert, aber auch diszipliniert. Ich war wirklich am liebsten immer an der frischen Luft. Kein Baum war zu hoch, kein Fluss zu breit. Als das jüngste von 4 Kindern, war ich das wildeste, aber leider nicht das klügste Kind, worunter ich oftmals gelitten hatte. Dafür hatte ich super guten Noten in Turnen und Handarbeiten.
Wir Kinder hatten alle Freiheiten, mussten aber immer pünktlich zum Essen erscheinen, sonst gab es Hiebe mit dem Rohrstock. Wir lebten am Waldrand und es wäre meinen Eltern unmöglich gewesen uns zu suchen.
Später, als wir weggezogen und ich 13 Jahre alt war, spielte ich mit meiner Freundin Roswitha im Wald. Wir hatten uns ein tolles Baumhaus gebaut. Da stand auf einmal ein Mann mit seinem Fahrrad unter dem Baum, schaute zu uns hoch und machte seinen Hosenschlitz auf.... Uns rutschte vor Angst das Herz in den Hosenboden. In einem unbeobachteten Moment kletterten wir vom Baum herunter und liefen was das Zeug hielt durch den Wald, durchs Korn, bis wir zu unserem Schrebergarten kamen. Wir setzten uns, verzweifelt nach Luft ringend, in das Gartenhäuschen und trauten uns erst bei Dunkelheit nach hause. Da bekam ich von meinem Vater fürs Unpünktlich sein mal keine Schläge.
Da ich ein sehr zierliches Kind war, wurde ich andauernd Verschickt (in Kur). Diese Zeiten habe ich immer noch in sehr schrecklicher Erinnerung. Da ich überhaupt keinen Grieß-Milch-Reisbrei mochte, wurde ich in den Heimen von den Schwestern und Tanten gezwungen ihn trotzdem, auch wenn ich Erbrochen hatte, zu essen. Alle Kinder durften draußen spielen und ich saß bloß immer vor meinem schrecklichen Teller. Auch das Baden im Moor war furchtbar. Das Kind kam in eine, von vielen kleinen Badewannen, die in dem Kellergewölbe standen. Die Arme wurden am Rand festgeschnallt, damit es nicht in dem Moorast ertrank. Es waren Stunden (wahrscheinlich nur 20 Minuten) die man da in der kälter werdenden Brühe ganz still liegen musste. Und dann noch das Heimweh, es war nicht auszuhalten. Oftmals hatte ich mich in den Schlaf geweint und war untröstlich.
Wir hatten Hühner, Enten und ein Schaf,welches fast jährlich von Kirmesleuten (Heute sagt man wohl „Messe“ dazu) von der Wiese geklaut wurde. Bis wir einen kleinen Schafbock hatten, den konnte mein Bruder, als das Vieh ausgewachsen war, nur noch mit dem Fahrrad heimholen. Wer schneller war hatte gewonnen. Einmal hatte mich mein Bruder auf das Schaf gesetzt, welches einen Buckel machte und ich im hohen Bogen in die Brenneseln flog. Auweia, das tat anständig weh.
Ich könnte noch viele Episoden aus meine Kindheit berichten aber das würde zu weit führen
Ach noch was, ich war oft krank, aber manchmal hatte ich das Fieberthermometer ein wenig „angerubbelt“ um nicht zur Schule zu müssen. Dann genoss ich meine Mutter mal alleine, und hatte Zeit um die Seiten in meinem Tagebuch vollzuschreiben.
Von Ihren Büchern habe ich einige gelesen und auch die Geschichten in der Brigitte liebe ich sehr. Danke dafür.
Liebe Grüße von Jutta Kretschmer
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Danke, liebe Jutta, für Ihr Ihre eindrücklichen Erinnerunngen. Das Moorbad, der ekelige Reisbrei, der unheimliche Mann im Wald! Ich habe alles genau vor Augen.
Herzliche Grüße!
Ildikó
Beitrag 12
Autor: Anneliese Heinz
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Wenn ich schon mal gefragt werde, wie meine Kindheit ausgesehen hat, dann komme ich ins Schwimmen.
Ist Kindheit verbunden mit Spiel, Spaß, ungezügelter Freiheit?
An solche Dinge erinnere ich mich nicht. Eigentlich war im Haushalt meiner Großeltern und meiner Eltern stets die Arbeit den Jahreszeiten angepasst. Man richtete sich nach dem Wetter, den landwirtschaftlichen Pflichten.
Meine älteste Erinnerung, die mich ganz stolz machte, war ein Ausspruch meines Großvaters: "Du bist eine richtige Magd; mit Dir kann man einen Knecht einsparen". Ich kleines Kind ersetzte einen Mann?! Eine große Freude erfüllte mich.
Meine Kindheit spielte sich in den Raufen der Schafe ab, in die man mich stellte, solange Heu nachgefüttert wurde. Im Frühjahr, wenn die Kartoffeln zu sprießen begannen, hatte ich die Auswüchse im Keller abzuzupfen.
Mit Martini /12.11.) kamen die Schafe von der Weide. An dem Tag hatte meine Mutter Geburtstag, aber der konnte erst im hohen Alter gefeiert werden, als es keine Schafe und keinen Schäfer mehr gab.
Ebenso war mein Geburtstag am 2. September eine Schnittstelle zwischen Öhmden und Kartoffelernte. Von wegen Kindergeburtstag!
Irgendwie war dies für mich alles normal. Im Gegenteil: Ich war stolz, immer und überall gebraucht zu werden.
Hätte ich meinen Lehrer nicht gehabt, der jeden Tag am elterlichen Haus vorbeikam, dann wäre es für mich eine Selbstverständlichkeit gewesen, die "Volksschule" zu besuchen und später meine berufliche Zukunft in der Landwirtschaft zu sehen.
Eine Chance war es, dank seiner unermüdlichen Ermahnung, in eine weiterführende Schule zu gehen.
Unterstützung bekam ich seitens der Eltern keine; vielmehr hatten diese immer die Ferien im Visier, an denen ich zuhause mithelfen konnte.
Tatsächlich habe ich mich nach der Schule auf eine Anzeige im Landwirtschaftlichen Wochenblatt beworben, in der eine Nachwuchssekretärin gesucht wurde. Bevor ich - erstmals - nach Stuttgart zur Vorstellung ging, bekam ich die Vorgabe von meinem Vater, ich möge gleich sagen, dass ich zum Heuen und Ernten Urlaub brauche.
Meinem damaligen Chef vertraute ich meine Bedenken an, dass meine Eltern einmal vielleicht keine oder nicht genug Rente bekommen würden. Auf seine Vermittlung habe ich mit 16 Jahren bei einer Rentenanstalt einen Rentenantrag für meinen Vater abgeschlossen, dessen Beitrag ich bis zum Tag meiner Hochzeit beglichen habe.
Urlaub mit meinen Eltern? Fehlanzeige! Sonntagsausflüge? Fehlanzeige! Sonntags wurde gebadet, sich ausgeruhrt, um für den Alltag wieder gewappnet zu sein.
Wann immer ich jedoch eine Lücke fand, dann las ich und diese Leidenschaft brachte mir vieles nahe, was ich im späteren Leben verwenden konnte.
Meine Kindheit jedoch, die blieb auf der Strecke.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Anneliese,
veile Dank für Deinen Beitrag und Deine sehr eindrücklichen Schilderungen von Deiner Kindheit.
Blieb die wirklich auf der Strecke - oder ist es einfach eine ganz andere als die, die wie man sie sich spontan vorstellt? Wenn das ganze Leben von den Jahreszeiten diktiert wird, bleibt natürlich kaum Raum für Selbstbestimmung. Wie wunderbar, dass Deine Talente gefördert wurden und Du Deinen Vater abgesichert hast.
Ich grüße Dich herzlich!
Deine
Ildikó
Beitrag 13
Autor: Barbara Ilg
Letztens fragte mich meine 10 jaehrige Tochter ob es besser ist Kind oder Erwachsener zu sein. Ich sagte ihr nach etwas Ueberlegen , dass ich ihr darauf keine richtige Antwort geben kann, weil mein Erinnerungsvermoegen sehr selektiv ist. Was ich heute als meine Kindheit in Erinnerung habe, das war es wohl damals gar nicht. Aber ich sei gerne ein Erwachsener heute und moechte kein Kind mehr sein. Meine Tochter meinte sie sei gerne ein Kind und moechte kein Erwachsener sein. So waren wir beide zufrieden mit dem was wir sind. Also, meine selektiven Erinnerungen :
Intensives Spielen mit meiner Schwester ( meine Eltern nannten uns manchmal siamesische Zwillinge, so waren wir aufeinander fixiert). Unsere Puppen wurden lebendig, wurden gefuettert bis die Maden herauskamen und mein Vater auf den Geruch aufmerksam wurde....Hoerspielkassetten wurden aufgefuehrt, Welten wurden erfunden, Geld wurde gedruckt und Laender bereist, olympische Spiele wurden organisiert und sogar Sonntags die Kirchenmesse mit Weihwasser aus der Badewanne....meinen Kindern gegenueber, die sich taeglich streiten, behaupte ich immer, wir haetten uns nie gestritten aber vielleicht ist mir da was entfallen...
Streifzuege mit Nachbarskindern in die naehere Umgebung, Raeuber und Gendarm, Verstecken, Stelzen, Rollschuhe, Fahrradfahren auf der Wendeplatte. Spaeter dann Tat oder Wahrheit, erster Kuss, erste Zigarette, erster Joint...ach ja, schoen wars so ganz selektiv gesehen....
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Danke, liebe Barbara, dass Du mir die Erinnerung an Stelzen wiedergegeben hast! Die war meiner selektiven Erinnerung entfallen :-)
Es lohnt sich doch immer weider, sich auf die Suche nach neuen Erinnerungen zu machen. Herzliche Grüße!
Beitrag 14
Autor: Monika Bliesener
Kindheit und Alter
Nein, die beste Zeit meines Lebens ist nicht vorbei. Obwohl ich das dachte, vermutete, zwischen 50 und 60. Jetzt ist alles erlebt, jetzt kommen die Abschiede. Und ja, die kamen, von Menschen, Freunden, dem Arbeitsleben und damit ebenso diverse Löcher, in die ich fiel und die neu gefüllt werden wollten.
Am Sonntag - am Valentinstag, der in meiner Kindheit noch kein besonderer Tag, sondern einfach nur der 14. Februar war, werde ich 67 und es macht mir erstaunlicherweise nichts aus. Als die 60 mal überschritten waren, war, so fühlte ich es, sowieso schon alles egal. Den 60sten feierte ich nicht, sondern ließ mich ausführen- zum Valentinstag.
Von nun an erlaubte ich mir, wieder etwas mehr Kindsein, alles Mögliche auszuprobieren. Dabei gleichzeitig frei zu sein, im Geiste und von Nöten und Verpflichtungen.
Unser Leben frei gestalten zu können, haben wir uns das nicht immer gewünscht?
Seit einigen Jahren ist mein offizieller Status Rentnerin, doch dieser Begriff gibt mir gar nichts, er klingt so angestaubt. Eine kluge Frau, ich meine es war Greta Silver, prägte mal den Begriff „Freifrau“. Ja, das bin ich jetzt.
Ich habe inzwischen gelernt, die mir noch zur Verfügung stehende Zeit mit dem auszufüllen, was ich am liebsten mache. In meine Kindheit nachspüren und darüber manchmal auch zu schreiben gehört ausdrücklich dazu.
An einem Sonntag bin ich zur Welt gekommen. Dieses Jahr fällt der 14.2. wieder auf einen Sonntag – sozusagen mein persönlicher Valentinstag.
Und vielleicht ist das auch der letzte Tag des allgemeinen Corona-Lockdowns. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass es Wirklichkeit wird, doch so wird es wohl nicht kommen- leider.
Grund genug, es den nächsten Geburtstag mal wieder so richtig krachen zu lassen, mit mehr als nur einer zusätzlichen Person außerhalb meines eigenen Haushalts und mit ordentlich Schmackes.
Da freue ich mich jetzt schon drauf.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Ein wenig verspätet aber sehr sehr herzlich: Alles alles Liebe und Gute zum Geburtstag, liebe Monika!
Sie machen mir große Lust auf das, was kommt und der Begriff "Freifrau" ist wunderbar und in Ihrem Fall anscheinend herrlich treffend.
Lassen Sie es krachen, herzlich, Ihre
Ildikó
Beitrag 15
Autor: Erika Birkner
Kindheit bedeutet für mich zu wissen wo meine Wurzeln sind mein Grundstein meine Basis an der ich wachsen kann., Vertrauen, kreative Gestaltungsmöglichkeit, Freundeskreis, zu wissen ich werde aufgefangen. Ein Heim ohne Gewalt sei es mental oder körperlich. Ein daheim ohne Angst, mit Liebe. Ich kenne es anders und das hat sich mit 18 Jahren gezeigt durch eine Autoimmun Erkrankung die mir sehr viel Kraft kostet den Weg der Heilung zu gehen, aber auch finanziell. Freue mich über Austausch. Eure Erika
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Erika,
ja, ich kann es mir vorstellen, dass eine Kindheit, in der kein Verlass war auf die Liebsten und die Welt, einen für sein ganzes Leben beeiträchtigt und beegleitet.
Ich wünsche Dir viel Glück auf deinem Weg!
Herzlich!
Deine Ildikó
Beitrag 16
Autor: Edina Molnár
Liebe Ildikó!
Ich habe das Schreiben vor nicht allzu langer Zeit für mich als entspannende – entspannte Seelenheilmethode und kreative Freizeitbeschäftigung entdeckt. Nun habe ich durch Ihr wunderbares Tagebuch-Projekt einen weiteren Anlass, zu schreiben. Meine Kindheitserfahrungen oder eher meine Gedanken über sie verdienen ein paar Zeilen... Und ich habe keine Angst mehr, sie aufzuschreiben, vor allem hier nicht. Denn: Es soll ja hier ein Ort sein, an dem das Licht noch brennt, auch wenn es draußen dunkel geworden ist…
Ich bin Ungarin und bin in einem kleinen Dorf auf der großen Tiefebene, nahe der serbischen Grenze, in Ungarn aufgewachsen (irgendwo „hinter dem Rücken Gottes“, würde der Ungar sagen und tatsächlich konnte man sich manchmal denken, dass man dort von Gott und der ganzen Welt einfach vergessen wurde...) In der dortigen Welt war es für meine Eltern unverhältnismäßig wichtig, den Schein einer heilen Familie mit perfekten Kindern aufrechtzuerhalten, denn „Was würden sonst die Nachbarn sagen?!“. Die Schande, die damit einherging, wenn über eine Person unangenehme Details an die Öffentlichkeit geraten sind, hätten sie wohl nicht ertragen. Deshalb sah es für Außenstehende möglicherweise so aus, als wären wir eine ganz normale Familie gewesen. Wir waren leider alles andere als das.
Meine Kindheit war nicht rosig. Sie bestand (sicher nicht ganz objektiv, aber gefühlt, für mich) außer Schule, Lernen, Gartenarbeit, Hausputz und Besuchen bei den Großeltern und den Verwandten, aus dem alltäglichen und allgegenwärtigen Schreien und Weinen, aus den Schlägen meiner Mutter, der ständigen emotionalen Erpressung, dem oft monatelang dauernden Hausarrest, dem Alkoholismus meines Vaters und aus Gefühlskälte. Aber in erster Linie will ich nicht über die unermessliche Einsamkeit sprechen, die ich nur mit meinem Teddybären teilen konnte. Nicht über das entmachtende Gefühl der kompletten Ausweglosigkeit, das ich ständig empfand und vor dem ich mich nur ins Lesen flüchten konnte. Auch nicht darüber, dass ich mich permanent ungeliebt fühlte, was bei mir in einem absoluten Mangel an Urvertrauen endete.
Worüber ich aber unbedingt ausführlicher sprechen will, ist ein andere, eine positive Emotion, die jede andere überragte und die mich immer vor der völligen Verzweiflung rettete: Nämlich der ungeheuer starke Wunsch, es allen (Wem auch? Meinen Eltern? Mir? Der ganzen Welt?) zu zeigen. Zu zeigen, dass Familie und Kindheit auch anders geht. Ich wusste schon damals: Wenn ich mal eine erwachsene Frau sein würde, würde ich in einer liebenden Partnerschaft leben und ich würde meine Kinder so erziehen, dass sie meine Liebe jeden Tag spürten und sich derer sicher sein könnten. Ich stellte mir meine imaginäre zukünftige Familie Tag für Tag bildlich vor. Ich malte mir schon als Sechsjährige aus, wie ich mit meinen Kindern spielen, wie ich mich mit ihnen unterhalten würde, wie ich ihnen aufmerksam zuhörte, wie ich sie umarmte und küsste und ihnen sagte, dass ich sie liebte. Diese Sehnsucht nach einem anderen – meinem richtigen – Leben dominierte in meiner Kindheit und in meinen Jahren als Jugendliche alle meine Gedanken und Gefühle. Bis mir das Schicksal meinen Mann geschickt hat und ich endlich tatsächlich mein Leben leben durfte. Wir haben zwei wunderbare Söhne bekommen, die heute 18 und 15 Jahre alt sind und auf die ich außerordentlich stolz bin.
Ganz sicher haben wir auch unsere Höhen und Tiefen, eine internationale Ehe ist an sich schon nicht leicht. Wer denkt, dass eine gute Ehe frei von Konflikten, Diskussionen, sogar Streiten wäre, ist einfach nur naiv. Ich habe sicher auch viel falsch gemacht, ich halte mich bei weitem für keine perfekte Mutter. Es wäre auch töricht, zu denken, dass die Auswirkungen einer solchen Kindheit wie die meine war, sich einfach spurlos im Nichts auflösen, nur weil man erwachsen geworden ist. Ich bin manchmal zu hitzig und aufbrausend, vorschnell und impulsiv, auf der anderen Seite aber sehr leicht zu verunsichern und schnell niedergeschlagen. Vieles nehme ich zu ernst. Ja, manchmal ertappe ich mich auch dabei, zu schnell etwas Falsches gesagt oder getan zu haben, was ich später bereue. Aber wenn ich es im Nachhinein merke, bin ich mir nie zu schade, meine Kinder oder irgendjemand anderen um Entschuldigung zu bitten. Sicher habe ich mit meinen Söhnen unzählige Diskussionen geführt und bin auch mal streng gewesen, habe Sachen nicht erlaubt usw. Gott weiß, dass ich oft den Impuls verspürt habe, ihnen einen zu scheuern, wenn sie mich rasend gemacht haben, aber ich habe diesem Impuls jedes Mal widerstanden.
Ich weiß, dass ich ihnen keine Traumata zugefügt habe. Ich sehe, wie viel Vertrauen sie in anderen Menschen haben. Ich sehe, wie gerne sie zu Hause sind und wie geborgen sie sich fühlen. Sie sind so anständig, so gut und gutherzig, so ausgeglichen. Wir unterhalten uns (auch noch im Teenager-Alter) regelmäßig. Sie haben Vertrauen in uns und ich darf sie (wenigstens ab und zu, trotz ihres Teenager-Alters, wenn sonst niemand zusieht 😊, ) immer noch umarmen und küssen, und ich bilde mir ein, dass sie tief im Inneren glücklich sind, wenn ich ihnen sage, wie sehr ich sie liebe.
Was ich damit sagen will: Ich glaube, dass es mir gelungen ist, ganz bewusst einen Teufelskreis zu brechen. Ich habe es geschafft, das Negative, was ich bekommen habe, nicht weiterzugeben und die Kindheit meiner Kinder positiv zu gestalten. Ich habe es allen gezeigt! Ja, es ist möglich, Kinder ohne Schläge, ohne jegliche Aggression, ganz bewusst mit viel Reden und konsequenter Liebe zu erziehen. Auch so kann man Grenzen aufzeigen, aber dabei unser Verhältnis nicht kaputtmachen. Es ist möglich, ich kämpfe jeden Tag ganz bewusst dafür, auch wenn ich es nicht in jedem Moment schaffe. Für die Liebe, für die guten Gefühle. Nicht nur für meine eigenen Gefühle als Mutter und erwachsene Frau, sondern auch für die Kindheitserinnerungen meiner Söhne.
Danke für Ihre Zeit!
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Edina, danke für Ihre Zeit. Und für Ihre bewegenden Schilderungen.
Ich bin total beeindruckt, wie sich da ein kleines, sich ungeliebt fühlendes Mädchen durch seine Kindheit gerettet hat, indem es sich die Kindheit ihrer eigenen, zukünftigen Kinder ausmahlt. Was für eine positife Kraft, was für eine Begabung an des Gute zu glauben! Wunderbar. Und dass Ihre "Überlebensträume" wahr geworden sind und sie zwei Jungs mit guten, warmen und schönen Erinnerungen ins Leben schicken rührt mich. Ich umarme und grüße Sie herzlich!
Ihre
Ildikó
Beitrag 17
Autor: Sophie Brennecke
Ich war ein nach außen schüchternes, ein wirklich kleines, super sensibles Mädchen. Sehr behütet und bewundert, ein Patchwork-Kind mit vielen Halbgeschwistern, das typische Nesthäkchen. Ich habe mein Nest geliebt und ich habe mich mit viel Leidenschaft auch damit auseinandergesetzt. Ich war oft eine Herausforderung, vor allem für meine diplomatische, sehr ausgeglichene Mutter. Sie hatte sich nach zwei Jungs von der wilden Sorte ein braves, liebes Mädchen gewünscht. Nun… auf Erwachsene zu hören war nie meine Stärke. Ich war zu Hause leidenschaftlich, impulsiv und konnte unendlich lange diskutieren. Eine kleine Robin-Hood-Superheldin, immer im Kampf um die Gerechtigkeit. Die Liebe meiner Eltern war unendlich und hält mich bis heute zusammen. In den schwierigsten Momenten meines Lebens habe ich sie gespürt, mitten in meiner Scheidung mit drei kleinen Kindern in einem fremden Land. Oder als ich mit 34 nochmal eine neue Ausbildung angefangen habe und auf einmal mit lauter 20-Jährigen zusammensaß… Meine Kindheit hat mir etwas Unbezahlbares geschenkt, das Vertrauen, dass ich es schaffen kann, die Leichtigkeit, an das Positive zu glauben. Meine Eltern haben mich nicht nur großgezogen (so erfolgreich war es hier nicht, ich bin kaum über 1,50 Meter geworden), sie haben mich erzogen, mir Werte weitergegeben und sie mir vor allem vorgelebt. Das hat mich ganz sicher davon abgehalten, die eine oder andere falsche Entscheidung zu treffen oder den leichteren Weg im Leben zu wählen.
Meine Kindheit ist ein Geschenk, ihr ehre sie. Warum? Ich kann sie mit der Kindheit meiner Kinder aus erster Ehe vergleichen und leider sind meine Sprösslinge nicht so unbeschwert aufgewachsen. Sie haben wahrscheinlich einige Altlasten abzuwerfen. Und was ist mit mir? Sicher habe ich das eine oder andere Erziehungs-Hindernis im Kopf, das ich immer wieder überwinden muss, zum Beispiel den erdrückenden Wunsch nach Harmonie.
Ja, die Kindheit ist eine sehr aufregende, prägende Zeit. Sie kann einen beflügeln, aber auch für lange Zeit schwer belasten. Ich hatte Glück, obwohl ich definitiv sagen kann, dass wir nicht immer glücklich miteinander waren. Wir haben gestritten, ich habe mir Freiraum erkämpfen müssen und habe meine Meinung nie versteckt. Sie fanden mich oft unbequem und schwierig. Das war nicht immer einfach für meine Herzensmenschen zu Hause. Aber bis heute spüre ich, auch wenn er schon lange nicht mehr unter uns weilt, die unbeschreibliche, wahrhaftige Liebe meines Vaters. Ich sehe ihn an der Terrassentür stehen. Er wartet auf mich und lächelt. Er trägt sein braunes Karo-Hemd. Sein Schnurrbart und seine wilde Frisur sind unverändert. Er strahlt diese Zuversicht aus, die mich mein Leben lang schon begleitet. Meine Mutter begleitet mich noch aus der geografischen Ferne und auch ihre Unterstützung und Liebe sind bis heute eine wichtige Säule in meinem Leben. Ihr Urteil lässt mich nie kalt, auch wenn ich es oft abstreite. Das vielleicht ist etwas Ballast, den ich immer wieder versuche abzuwerfen.
Aber ja, von diesen wunderbaren Menschen „komme ich“ - welch ein Glück.
Möge dieses Gefühl für immer und ewig halten.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Sophie!
Ja wirklich: Welch ein Glück!
Was für eine wunderbare Beschreibung ihrer Eltern und ihrer liebedurchtränkten Herkunft. Und wie schön, dass Sie sich so bewusst darüber sind, was für ein kostbares Geschnek Sie da auf ihren Lebensweg mitbekommen haben.
Ich grüße Dich sehr herzlich!
Deine
Ildikó
Beitrag 18
Autor: Melanie Hagensen
Liebe Ildikó,
Du scheinst an jeder Stelle Deines Lebens den richtigen Riecher zu haben. „Zusammensein“, großartig. In einer Zeit, wo das Zusammensein im Realen nicht mehr wirklich gewünscht ist oder es zumindest unheimlich erschwert wird. In einer Zeit, in der Ängste vor Nähe immer größer werden oder auch werden sollen. Es gibt viele Themen und Fragen, auf die wir im Austausch Antworten suchen können und nichts macht mehr Spaß als Neugierde und Austausch. Doch, eines natürlich, das Schreiben darüber.
Es ist großartig, dass auf Deiner Seite das Licht noch an ist, obwohl es draußen bereits dunkel ist. Ich gehe stets unfassbar früh schlafen, allein weil mein Wecker unfassbar früh klingelt und ich mich langsam frage, was ich eigentlich Unfassbares tagsüber mache.
Aber bleibe ich erst einmal für heute bei dem Thema Kindheit. Ja, unsere Kindheit ist ein Märchen. Ich für mich kann sagen, dass ich das Wort „Kindheit“ einfach so bewahren möchte, wie es sich für mich anfühlt. Es fühlt sich geborgen an, beschützt, behütet. Auch wenn wir, so wie Du es beschreibst, natürlich heute wissen – wenn wir denn hingeschaut haben, egal ob mit Stefanie Stahl oder auch ohne – dass es an ganz vielen Stellen überhaupt nicht so war. Dass eventuell Mütter in und mit ihren Kindern nur eigene Bedürfnisse gedeckt haben oder uns gar nicht ernst genommen haben, woraus wiederum etliche Traumata im Erwachsenendasein sich erkennen lassen. Aber das Wort „Kindheit“ hat so etwas Unberührtes. Und es ist schön, dass es neben den schmerzhaften Erinnerungen, die ja nur in unbewussten Gefühlen sich heute zeigen, so schöne Erinnerungen gibt. In meinem Jahrgang (1970) vor allem ohne Handy, ohne Hektik und mit größter Freiheit, die ich nie wieder so erlebt habe.
Und wenn es auch nur wenige Erinnerungen sind, so weiß ich doch, dass mein Vater mich und meinen kleinen Bruder an der Ostsee im Sommer – ich lebe immernoch in Schleswig-Holstein – über das Kraut (stinkender Seetang) herübergetragen hat, bis wir auf der Sandbank sicheren Boden unter den Füßen hatten. Aus heutiger Sicht ist das für mich die größte Form, seinen Kindern sowohl Sicherheit zu geben und ihre Angst ernst zu nehmen. Genau diese Szene fühlt sich behütet an.
Und als große Schwester und bis heute Klugscheißer habe ich meinem kleinen Bruder die Welt erklären wollen, das Leben und den Tod gleich mit. Wir haben einen toten Vogel eingegraben und ich wollte ihm zeigen, dass daraus ein Skelett wird. Nur habe ich den Zeitfaktor in meinem damaligen Alter etwas verkehrt eingeschätzt. Nach ein paar Tagen buddelten wir den Vogel wieder aus, statt ein Vogel-Skelett bot sich der Anblick hunderter krabbelnder, fressender Maden. Ein Anblick, der sich mitsamt seiner Bewegung bis heute in meinem Hippocampus gespeichert hält. Mein Bruder hingegeben war wenig beeindruckt und eher neugierig auf eine weitere Tiergattung.
Was bestimmten Ekel betraf, kam ich eher nach meiner Mutter, die einige Jahre später, als mein Bruder das Angeln für sich entdeckte, die gleiche Tiergattung aus dem Dichtungsgummi des Kühlschrankes pulen musste, weil mein Bruder den Deckel seiner Fischköder nicht richtig verschlossen hatte.
Und dann gibt es noch einen Lieblingsgedanken, obwohl er sich auch „einsam“ anfühlt, manchmal wie heute .... Ich habe es geliebt, mit zwei Mülltonnen Gummitwist zu spielen, ganz für allein ...
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Melanie!
Danke für den Ausflug in Deine Kindheit.
Ja, mir geht es da ganz ähnlich. Das unberührte, das heilige, die goldenen Kindheitserinnerungen zu bewahren, als das was sie sind - vielleicht nicht Realität, aber eben doch gefühlte Wahrheit jenseits der Wahrheit. Das möchte ich auch und mich dennoch auseinandersetzen mit dem, was mich bis heute prägt auch im Negativen.
Diesen Spagat zwischen Idealisierung und Analyse zu bewältigen, das versuche ich Tag für Tag aufs Neue.
Viele herzliche Grüße!
Deine Ildikó
Beitrag 19
Autor: Winnie Dobrowolski
Damals –
als Kinder
kurze Hosen im Winter
schwebend
übers glatte Meer
aus Zuckerwatte
schlafend im Kleefeld
wo man süße Träume hatte
von Einhörnern und Drachen
Monster –
im Schrank, unterm Bett
besiegt mit Taschenlampenlicht
und einem lustigen Gedicht
bis sie sich kringelnd vor Lachen auflösten
und wir eindösten
Freunde –
das wichtigste überhaupt
ausgelassen und laut
auf der Straße tobend
ohne Rücksicht auf zerschlagene Knie
so glücklich wie nie
Erinnerungen –
so verklärt, niemals verkehrt
die schlechten Dinge
sind verschwunden
vergessen,
ertrunken
im Lebensmeer
Glück und Gelassenheit
- ich werde niemals alt
Freunde, Monster Seifenblasen
sind immer noch hier
gehören zu mir
in mein buntes Leben
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Lieber Winnie! Was für ein wunderbares Gedicht.
Eine Ode an die schönen Erinnerungen. Eine Ode an das gute Gedächtnis, dass den Rückblick so viel schöner macht.
Danke für diese schönen Momente aus Deinem, meinem, unserem bunten Leben. Sehr herzlich! Deine Ildikó
Beitrag 20
Autor: Petra Ring-Wäldele
Liebe Ildikó,
ich möchte dir danken. Deine Podcast-Folge mit Doris Dörrie hat mich zurück gebracht zum Schreiben.
In deinem Text zu Kindheit schreibst du: "...die Erkrankung der Mutter zur existentiellen Bedrohung wird".
Darum möchte ich diese Geschichte gerne teilen.
Meine Puppe Michael
Als kleines Mädchen bin ich eine richtige Puppenmama. Ich habe 2 große Badepuppen und 3 kleine Püppchen, die alle Susi heißen. Zum Geburtstag bekomme ich eine Babypuppe mit weichem Bauch und könnte nicht glücklicher sein. Claudia. Meine Oma näht Kleidchen, Röcke, Blusen und Hosen für Claudia, sogar ein Taufkleid. Meine Großtante strickt Jäcken und Mützchen für Claudia. Es könnte nicht schöner sein.
Ich komme in die Schule. Bald werde ich zu groß sein für Puppen.
Ich höre meine Eltern reden. Sie klingen anders als sonst. Die Angst tritt in mein Leben.
Meine Mama hat einen Knoten in der Brust. Ich spüre die dunkle Wolke, die über unserem Haus schwebt. Kein Moment ist mehr leicht und hell. Die Angst ist da, schwingt mit.
Untersuchungen. Der Knoten muss operiert werden. Meine Mutter muss nach Erlangen in eine Spezialklinik für Brustkrebs.
Das Haus ohne Mama, die Küche ohne Mama. Erst im Auto bin ich wieder lebendig. Ich darf Mama in Erlangen besuchen. Die Fahrt dauert so lange. Ständig frage ich, wie lange wir noch brauchen. Ich bin besessen von Kutschen. Würde lieber mit der Kutsche als mit dem Auto nach Erlangen fahren. Ich frage meinen Papa, wie lange es mit der Kutsche nach Erlangen dauert. Er sagt, 2 Tage. Ich bin tief beeindruckt.
Meine Mama liegt in einem Zimmer mit vielen anderen Frauen, einem Schlafsaal mit Betten auf beiden Seiten. Endlich sehe ich meine Mama. Sie liegt im letzten Bett auf der rechten Seite, das einzige am Fenster. Ich kuschel mich an meine Mama und fühle mich wieder ganz.
Die Zeit ohne Mama ist endlos. Ich sitze in meinem Zimmer und kann nicht spielen. Wie jedes Jahr vor Weihnachten gibt es einen neuen Koczy-Katalog mit allen neuen Spielsachen. Immer wieder hole ich den Katalog aus der Schublade und blättere darin. Alle Farbe ist aus meinem Leben verschwunden. Nur im Koczy-Katalog, da ist noch Farbe. Ich sauge die Farbe auf mit jeder Seite.
Ich blättere um und da ist sie. Die Puppe zieht mich sofort in ihren Bann. Sie ist größer als alle Puppen, die ich je gesehen habe. Kein Baby, sondern ein Kind. Noch dazu ein Junge. Tagelang schau ich die Puppe im Katalog an. Ich muss sie meiner Mama zeigen. Jedes Mal, wenn ich die Seite mit der Puppe aufschlage, bin ich wie verzaubert. Ein Licht in der größten Dunkelheit.
Am Wochenende endlich sitze ich bei meiner Mama im Krankenhausbett. Sie hält mich im Arm und ich zeige ihr die Puppe. Ich muss die Seite nicht mehr suchen. Ich weiß genau, wo sie ist.
Meine Mama ist operiert und wir warten auf den Befund. Plötzlich ist negativ etwas Gutes und positiv etwas Schlechtes. Ich habe das Gefühl, ein einziges Wort entscheidet über mein Leben.
Negativ. Die Anspannung fällt so plötzlich von mir ab, dass ich das Wort immer wieder wiederholen muss, negativ, negativ. Alles wird gut. Mama kommt heim und ist gesund. Negativ. Mein Zuhause wird wieder farbig. Mein Leben ist zurück.
Es ist Weihnachten, wir feiern bei meiner Patentante. Auf dem Gabentisch türmen sich die Geschenke. Natürlich wird erst gesungen. Mein Blick schweift über die Geschenke und plötzlich kann ich nicht mehr singen. Der Schuh. Aus einem Geschenkpapier schaut ein Stück Puppenschuh und ich erkenne ihn sofort. Unzählige Male habe ich diesen Schuh gesehen, jeden Millimeter der Katalogseite studiert. Michael.
Ich bin heute 44 Jahre alt, meine Mama 79. Ich bin jeden Tag dafür dankbar, dass ich sie habe.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Danke, liebe Petra, für diese bewegende Geschichte, für deine Erinnerungen, für deine Liebeserklärungen an deine Puppe und an deine Mutter, die dir Gott sei Dank, erhalten geblieben ist. Ich erinnere mich auch an ein ganz besonderes Geschenk. Bei mir war es ein großer brauner Teddybär. Brummi. Er saß unter dem Weihnachtsbaum und ich war sprachlos vor Glück. Ich habe ihn sehr lange geliebt. Er war ein Geschenk meiner Mutter. Sehr herzliche Grüße! Deine Ildikó
Beitrag 21
Autor: Christiane Seidl
Unsere Kindheit -
Meine Kindheit-
Ich kann sie von zwei von zwei Seiten betrachten:
„Meine Kindheit“.
Ich kann mich bewusst, an fröhliche unbeschwerte Momente erinnern. Wie zum Beispiel, meinen ersten eigenen Hund. Ein Bernardiner, groß wie ein Kälbchen, lieb und sensibel. Er hat mir so viel Freude bereitet. Mich über manche Traurigkeit hinweg getröstet. Wir sind zu zweit durch die Felder meines Heimatortes gestreift. Manchmal begleiteten uns Freunde.
Meine Großmutter, sehr streng mit den eigenen Kindern. Für mich war sie, das Beste, was mir passieren konnte. In Momenten der Einsamkeit und Traurigkeit, war sie für mich da. Ich konnte tolle Gespräche mit ihr führen. Sie nahm mich ernst und hörte zu.
Meine Freunde auf unserer Straße. Verabredungen ohne Handy. Treffpunkt nach den gemachten Hausaufgaben auf der Straße. Klappte immer. Nogger Choc, so lecker…. Er die weiche kalte Schokolade, dann der Nougatkern.
Ebenso gab es schwere Momente. Momente mit alkoholabhängigen, manchmal schlagenden Stiefvätern. Momente der Einsamkeit und Trauer, weil meine Mutter, keine Mutter sein konnte, wie ich es mir wünschte.
Momente, in denen ich in der Schule geärgert wurde, da ich als Kind pummelig war. Das tat weh. Essstörungen, die mir später einiges erklärten.
Was wiegt mehr die fröhlichen Augenblicke oder die schweren Momente?
Ich kann darüber nicht urteilen. Ich habe allen verziehen und bin dankbar, dass ich der Mensch wurde, der ich heute bin. Auch aufgrund all dieser Erlebnisse.
Kommentar von Ildikó von Kürthy
Liebe Christiane! Vielen Dank für deinen Beitrag. Ja, manchmal ist Erinnerung auch eine Frage der Entscheidung womit wir uns innerlich beschäftigen wollen. Ein "gutes Gedächtnis" bekommt dann eine ganz andere Bedeutung, nämlich ein wesentlicher Entschluss, sich an das Gute zu erinnern. Wie schön, dass du mit all deinen Erinnerungen versöhnt bist!
Herzlich! Ildikó