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Beitrag 1 von Ildikó von Kürthy

Schreiben wir gemeinsam! Über den Tod der Mutter.

Meine Mutter ging langsam aus der Zeit heraus. Ohne Ungeduld und Eile. Ihr Interesse am Leben begann zu erlöschen, sie hörte auf zu essen und zu lesen, sie stellte mir keine Fragen mehr, sprach wenig, und ihre Augen sahen immer öfter nach innen. Manchmal lächelte sie noch, aber ich glaube nur mir zuliebe. Ihr schien sehr daran gelegen, mir ein Trauma zu ersparen. Des Nachts rief sie nach ihrer Mutter. Aber es war keine Verzweiflung in diesem Rufen und keine Angst, sondern Sehnsucht und die kindliche Bitte, ihr beizustehen, bei diesen letzten Schritten genauso liebevoll und geduldig wie bei den ersten.

Beitrag 2

Autor: Andrea Hoyer

Liebe Ildikó,

meine Mutter ist glücklicherweise noch - oder besser WIEDER - am Leben.
Sie war die ersten 6 Monate in diesem Jahr im Krankenhaus, zur Reha, im Krankenhaus.... Coronabedingt durften wir uns wochenlang nicht sehen. Als ich sie endlich im Krankenhaus besuchen durfte, war der Grund dafür leider der, dass es so schlecht um sie stand und eigentlich keine Hoffnung mehr für sie gab. Ich besuchte sie. Glücklich, sie wiederzusehen, tottraurig über den Grund dieser Besuchsmöglichkeit.
So viele Tränen hatte ich zuvor in meinem ganzen Leben noch nicht vergossen :-(
In Deinem Buch steht der Satz: "........und plötzlich ist niemand mehr da, der bei Gewitter auf Dich aufpasst" Genauso ist es! Genau diese Gedanken waren da. Wie soll denn ein Leben ohne meine Mutter aussehen? Niemand auf der Welt versteht mich doch so ohne viele Worte, nur mit Blicken, wie meine Mutter! Eine grauenhafte Vorstellung!
Dann kam der Hoffnungsschimmer: ein Versuch. Erfolg nicht absehbar. Es hat geklappt. Seit Juli ist sie wieder zu Haus mit einer völlig neuen Sicht aufs Leben. Kleine Dinge sind unendlich wertvoll geworden.
Man sollte die wirklich wichtigen im Leben zu schätzen wissen, dankbar sein für jeden einzelnen Tag, den man mit lieben Menschen verbringen darf :-)

In diesem Sinne..... ich hab das zum ersten Mal aufgeschrieben....



Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Andrea!


Was für ein schöner Text! Ich wünsche Dir noch viele Tage mit Deiner Mutter - und das Du jeden davon schätzt und genießt und so wertschätzt, wie Du das bereits tust. Herzlich! Deine Ildikó

Beitrag 3

Autor: Andreas S.

Was könnte Trost spenden, wenn ein geliebter Mensch stirbt ? Diese Zeilen maßen sich dies nicht an, und doch wem es helfe möge, sei mir ein Versuch gestattet. Es ist ein tiefes Tal der Trauer zu durchschreiten, ein Weg durch dunkle Gefühle und Emotionen. Je älter man wird, desto näher kommen diese schmerzhaften und endgültigen Abschiede. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo die Menschen in kleineren Gemeinschaften beständig von Kindesbeinen an mit Krankheit, Alter, Leid und Tod konfrontiert worden sind, und dies mit ihrer jeweiligen Religion und den entsprechenden Ritualen bewältigt haben, werden in der heutigen
Leistungsgesellschaft diese schweren Seiten des Lebens ausgeblendet, das Sterben findet zu oft einsam und unvorbereitet hinter verschlossenen Türen statt. Wir, das Leben und der Tod sind wie durch ein unsichtbares Band verbunden, weder darf uns die Endlichkeit in die ständige Traurigkeit ziehen, noch sollten wir unser Dasein verwirken durch schalen Konsum. Stelle Dir eine Welt vor, ohne neue Blumen im Frühling, ohne Vielfalt des Lebens und ohne herzliches Kinderlachen …… es wäre eine Welt ohne den Tod. Unser Bewusstsein konnte nur entstehen, weil in Millionen von Jahren unzählige Lebewesen vor uns gestorben sind, sich fortgepflanzt und junges Leben immer wieder neu geboren wurde. Es war eine unablässige Abfolge an ständiger Erneuerung, Entwicklung und Anpassung an den Daseinskampf im begrenzten Lebensraum. Viele sterben mitten im Leben, nicht weil die Zahl ihrer Lebensjahre gering wäre, vielmehr weil sie sich noch mitten in den Vorbereitungen zum Leben sahen. Nach meiner Beförderung wird es ruhiger, wenn ich in Rente bin, wenn das Haus abbezahlt ist und die Kinder groß sind, ja dann erst habe ich Zeit für die Muße um mich zu besinnen, was wichtig für mich ist und wie ich leben möchte. Und so schwer es auch manchmal ist, diese Zeit ist Deine Zeit, dieser Augenblick ist Dein Augenblick, dieser Atemzug ist Dein Atemzug, dieser Frieden ist Dein Frieden, diese Reise ist Deine Reise, der größte Lehrmeister ist das Leben selbst, um das Leben in der Tiefe zu erkennen. Ja, .... um erwachsen zu werden.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Danke, lieber Andreas. Dein Text ist bewegend und ja, tatsächlich tröstlich. Passend dazu fallen mir die folgenden Zeilen aus einem wunderschönen Gedicht von Clemens Brentano ein:

Alles ist freundlich wohlwollend verbunden,
Bietet sich tröstend und traurend die Hand,
Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,
Alles ist ewig im Innern verwandt.


In diesem Sinne verwandtschaftliche Grüße und alles Gute auf Deiner Reise! 

Herzlich! Deine Ildikó

Beitrag 4

Autor: Mareike H.

Meine Mutter starb endgültig vor knapp 2 Monaten, aber leider fing ihr Sterben schon vor vielen Jahren an. Zuerst hatte sie ständig starke Schmerzen, die sie plagten und davon abhielten, sie selbst zu sein. Dann kam die Diagnose einer unheilbaren Krebserkrankung und damit einhergehend, die Veränderung durch die Chemotherapien und das ständige Kreisen der Gedanken um die Krankheit. Irgendwie war die Frau, die sich immer um meine Belange und Lappalien interessierte, eine andere geworden! Sie schaute oft gedankenlos vor sich hin und hatte weniger Interesse an ihrer Umwelt. Nichts desto trotz fand ich das Leben oft wunderbar, da alle lebten, die ich liebte! Ich sah zwar, dass meine Mama immer ein bisschen weniger wurde, aber wir hatten Zeit zusammen und sie war immer da! Mit diesem Grundsatz verdrängte ich alle Sorgen und bösen Gedanken. Bis dann der Tag kam und meine Mutter um 19:41Uhr ihren letzten Atemzug machte! Wir erfüllten ihren letzten Wunsch, dass sie zuhause sterben durfte. Leider weiß ich seither, dass das Sterben ein langsamer, schmerzlicher und unaufhaltsamer Prozess ist. 
Als meine Oma zuhause starb, schlief sie friedlich ein als ich das Zimmer verließ und kurz darauf träumte ich von meiner Oma. Sie sagte mir, dass alles gut sei und ich mir keine Sorgen machen bräuchte! Auch dieses Gefühl trug ich lange in meinem Herzen bis 19:41Uhr. Natürlich blieb der Traum meiner Mutter nach ihrem Tod aus und ich schaue seither mit leerem Blick in den Himmel oder ich suche ihre Nähe vergebens auf dem Friedhof oder dem Sterbezimmer. So sehr wünsche ich mir etwas von dem naiven Kinderglauben meiner Tochter, die einen Abschiedskuss in den Himmel schickt, wenn sie das Haus meiner Eltern verlässt. Plötzlich ist die Welt eine andere oder bin ich eine andere?

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Mareike, 

mein herzliches Beileid zum Tod deiner Mutter. Ich hoffe und denke, dass ihr schweres Sterben nach und nach in Deiner Erinnerung in den Hintergrund rückt, und die gemeinsame Zeit in Deinen Gedanken mehr Raum einnehmen kann. Die Welt ohne Muter ist eine andere und man selbst ist kein Kind mehr.

Ich bin zuversichtlich, dass Du irgendwann trotzdem wieder einen Abschiedskuss in den Himmel schicken wirst.

Herzlich!

Deine Ildikó

Beitrag 5

Autor: Christiane Seidel

Liebe Ildiko,

Gott sei Dank habe ich diesen Moment noch nicht erleben müssen. Meine Mutter fühlt sich mit 71 bester Gesundheit. Bei uns waren die Rollen (leider) andersrum. Ich kam zur Welt, als meine Mama 21 Jahre alt wurde. Innerhalb meines 1. Lebensjahres trennte sich mein Papa von ihr. In vielen Situationen, die auf uns zukamen, übernahm ich die Rolle der Erwachsenen und sie die des Kindes. Ich fühlte mich verantwortlich für sie, für mich, für uns beide. Allerdings nahm meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter einen immer größeren Platz in meinem Leben ein. Irgendwann nannte ich sie liebevoll "Mutti". Sie war Freundin, Oma und Mutter für mich. 

2009 verstarb sie. Es war sehr schlimm für mich. Ich glaube man kann es mit dem Sterben einer Mutter vergleichen. Ich musste erwachsen werden. Mich wieder auf mich verlassen. Interessant war, die Beziehung zu meiner Mutter. Sie veränderte sich. Mit jedem Jahr wurde sie besser. Heute ist sie auf Augenhöhe. Mutter - Tochter, Mutter - Freundin. 

Sie kann meiner Tochter heute eine gute Oma sein, nicht im klassischen Sinne, aber auf ihre Art. Das ist schön zu erleben.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Christiane, ist es nicht schön zu sehen, wie sich Beziehungen im Laufe unseres Lebens verändern und entwickeln? Toll, dass aus Deiner Mutter nun eine wunderbare Oma geworden ist. Sehr herzlich! Ildikó

Beitrag 6

Autor: Susan Bangerter



Seit ich zurückdenken kann, war eine meiner grössten Kindheitsängste, meine Mutter zu verlieren. Diese Vorstellung war so schrecklich, so schmerzhaft, dass meine Kraft nicht ausreichte, sie mir auszumalen. Eine Welt ohne meine Mutter durfte es ganz einfach nicht geben. Ein schwacher Trost brachte mir in meiner kindlichen Logik der Gedanke, dass der Tod der Mutter - wenn ich dann schon selber erwachsen oder sogar schon alt sein sollte - bestimmt nicht mehr so weh tun würde. Nur, warum weinten dann meine Grossmütter, wenn sie von ihren Müttern und deren Tod erzählten? Sie waren doch schon längst erwachsen. Und alt. Und alt konnte man doch erst sein, wenn man vorher erwachsen geworden war. Oder etwa nicht? Also, so sagte ich mir, musste ich, um den zukünftigen Schmerz ertragen zu können, dafür sorgen, rechtzeitig vor dem Tod meiner Mutter erwachsen zu werden. Teil dieser, aus meiner Kinderaugensicht, Erwachsenenwelt voller souveräner, starker, verantwortungsbewusster Menschen werden, die stets wissen, was sie tun und immer die richtigen Entscheidungen treffen. So wie meine Eltern.

Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass sich bei mir die Gewissheit, erwachsen zu sein, einfach nicht einstellen wollte. Ja, ich machte eine Ausbildung, lernte Auto fahren, zog von zu Hause aus, heiratete, bekam Kinder, meisterte mein Leben mal recht, mal schlecht. Doch ich wartete vergeblich darauf, mich erwachsen zu fühlen. Jedenfalls nicht im Dauerzustand. Es war eher ein flüchtiges Gefühl zwischendurch, ähnlich dem Stolz, wenn ich als Kind etwas geschafft hatte und mich wie eine "Grosse" fühlte.

Und nun ist meine grösste Kindheitsangst real geworden. Meine Mutter ist seit ein paar Wochen tot. Ich bin noch nicht ganz alt, aber erwachsen bin ich anscheinend vor ihrem Tod leider noch immer nicht geworden. Nachher offenbar auch nicht. So gross und heftig ist der Schmerz, so überwältigend das Gefühl des Verlustes.

Hat dies womöglich mit meiner kindlichen Definition von erwachsen sein zu tun? Im Sinne von "Erwachsene (Indianer) kennen keinen Schmerz"? Ein Glaubenssatz, den ich irrtümlicherweise verinnerlicht hatte? Ein jahrzehntelang missverstandener Begriff? Denn wenn ich meine Fragen zum erwachsen sein und werden ändere, ändert sich alles. Solange in meinem Verständnis erwachsen sein gleichbedeutend mit ausgewachsen sein ist, werde ich niemals erwachsen sein, mich niemals erwachsen fühlen. Denn ich erfahre in meinem Leben tagtäglich; Wachstum ist lebenslänglich. Zumindest das innere. Setze ich erwachsen mit erwachen, mit wachsen, mit dem Leben gewachsen sein, was stark, aber auch schwach sein beinhaltet, gleich... Ja. Dann bin ich erwachsen geworden. Was jedoch nichts mit dem Tod meiner Mutter zu tun hat. Vielmehr mit unserer gemeinsam verbrachten, intensiv ausgekosteten Lebenszeit vor ihrem Tod. Unserer liebevollen Beziehung. Der Dankbarkeit dafür. Meinem eigenen Lebensweg und den gemachten Erfahrungen. Der Erkenntnis, dass nichts ewig dauert. Der Fähigkeit, diese Erkenntnis auszuhalten und trotzdem weiterzuleben und das Leben zu geniessen.

Ich denke an die Tränen meiner Grossmütter zurück und verstehe.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Susan! 

Mein aller herzlichstes Beileid zum Tod deiner Mutter. Und Dank für Deine Zeilen. Sie sind so erwachsen und reif. Erwachsen, tatsächlich in dem Sinne, wie du ihn beschreibst, gewachsen, als immer weiter wachsend. Erkennend, dass erwachsen sein heißt, Schmerzen zu haben, die eigentlich nicht zu ertragen sind, und die dann doch irgendwann und irgendwie erträglich werden. Das erwachsen sein heißt, zu weinen, so wie unsere Großmütter vor uns. 

Ich umarme Dich herzlich! 


Deine Ildikó